Frauen* in bester (sächsischer) Verfassung?

verfasst von
  • Sarah Thomas
veröffentlicht 16. September 2020
Während der Vereinigung von BRD und DDR hegten viele Frauen* die Hoffnung auf eine neue Verfassung, die sie in ihren Rechten stärken sollte. Dazu legten Frauen* aus Ost und West Vorschläge vor. Doch was blieb von ihren Forderungen?

Im Osten etwas Neues?

Während der Umbrüche im Herbst 1989 hatten viele Bürger* und Bürgerinnen* die Hoffnung auf eine reformierte, freie DDR nicht aufgegeben. Im Dezember 1989 hatte sich im Rahmen des Zentralen Runden Tisches in Berlin die Arbeitsgruppe ‚Neue Verfassung der DDR‘ gegründet. In dieser Gruppe wirkten die Unabhängiger Frauenverband (UFV)-Mitbegründerin Tatjana Böhm und die Rechtswissenschaftlerin Rosemarie Will mit. Böhm war zugleich Mitautorin der Sozialcharta, eine neun Punkte umfassende Grundsatzsammlung einklagbarer Sozialstandards. Die in der Sozialcharta formulierten sozialen Rechte fanden auch ihren Niederschlag im Verfassungsentwurf des Runden Tisches. Artikel 3 Absatz 2 besagte: „Der Staat ist verpflichtet, auf die Gleichstellung der Frau in Beruf und öffentlichem Leben, in Bildung und Ausbildung, in der Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung hinzuwirken.“1
Außerdem garantierte Artikel 4 Frauen eine selbstbestimmte Schwangerschaft, und die Artikel 1 und 22 hielten fest, dass niemand auf Grund seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden dürfe und dass andere Lebensgemeinschaften neben der Ehe dieser gleichgestellt sind. Die Präambel zur Sozialcharta schrieb die Schriftstellerin Christa Wolf. Der Entwurf wurde am 12. März 1990 vom Runden Tisch bestätigt und am 5. April 1990 der frei gewählten Volkskammer zur Abstimmung übergeben. Dort fand er jedoch keine Mehrheit.

Ost- und Westfrauen* für eine neue Verfassung

Der Verfassungsentwurf vom Zentralen Runden Tisch inspirierte auch Aktivistinnen* und Wissenschaftlerinnen* in Westdeutschland. „Es scheint uns an der Zeit, daß wir Frauen uns mit Fantasie und Sachkenntnis in die Verfassungsdiskussion einmischen.“2  Mit diesen Worten proklamierten Heide Hering, Susanne von Paczensky und Renate Sadrozinski von der Initiative ‚Frauen in bester Verfassung‘ im April 1990 ihre Forderungen zur Änderung des auch aus Sicht westdeutscher Frauen* reformbedürftigen Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Sie formulierten eine Verfassungsvorlage, da „in beiden deutschen Staaten […] ‒ trotz ausdrücklicher Verfassungsgrundsätze ‒ die Gleichberechtigung der Frauen bisher nicht verwirklicht“3  worden sei. Sie benannten acht Punkte, die bereits in der Vergangenheit auch von den Frauen* der DDR gefordert wurden und die in eine neue Verfassung Eingang finden sollten. Auch die Initiative ‚Frauen für eine neue Verfassung‘, in der sich auch die Soziologin und Juristin Ute Gerhard engagierte, griff die Kernforderungen der ostdeutschen Frauen* auf und integrierte diese in das Frankfurter Frauenmanifest.4

Die Interventionen der feministischen Verfassungsinitiativen aus Ost und West als auch das parteiübergreifende Agieren von weiblichen Parlamentsabgeordneten bei der Gemeinsamen Verfassungskommission mündeten am 27. Oktober 1994 in einer Erweiterung des Artikel 3. Darin heißt es im Absatz 2: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Die Herstellung von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern wurde damit zum Verfassungsauftrag erklärt.
Die Forderung nach einer geschlechtergerechten Sprache lehnte die Gemeinsame Kommission ab. Denn obwohl „die althergebrachten Sprachgewohnheiten für viele Frauen ein Übersehenwerden, ein Verschweigen ihrer Existenz und Ausgrenzung ihrer Personen“ bedeuten würden und „die männliche Rechtssprache […] gesellschaftlich überkommene Strukturen verfestige und […] weitere gesellschaftliche Veränderungen zugunsten der Frauen behindere“, könnte „eine Verfassung mit geschlechtergerecht formulierten Normen sehr unleserlich werden“5 .

Förderung statt tatsächlicher Gleichberechtigung

Am 3. Oktober 1990 kam es zur (Neu-)Gründung von fünf Bundesländern, darunter dem Freistaat Sachsen, für die ebenfalls entsprechende Landesverfassungen geschrieben werden mussten. An diesem Prozess beteiligten sich ebenfalls Frauen*.

Über Monate hinweg engagierten sich Initiativen von Frauen* und Männern*, um eine Konstitution zu finden, die den gemeinschaftlichen Erfahrungen in der Vergangenheit Rechnung tragen und den Bedürfnissen aller Bürgerinnen* und Bürger* gerecht werden sollte. Bürgerrechtsgruppen wie Demokratie Jetzt (DJ), Neues Forum (NF) oder der UFV und Runder Tisch der Frauen der Stadt Dresden kritisierten den Gohrischen Entwurf, benannt nach dem Tagungsort Gohrisch, der im August 1990 von der Arbeitsgruppe Landesverfassung vorgelegt und überarbeitet im Oktober 1990 von CDU und FDP in den Landtag eingebracht wurde. Zugleich orientierte sich dieser Entwurf an dem am 29. März 1990 veröffentlichten Verfassungsmodell der Dresdner ‚Gruppe der 20‘.6

In einer gemeinsamen Stellungnahme kritisierten DJ, NF, UFV, die Grüne Liga und der Runde Tisch der Frauen die Formulierung des Artikels zur Gleichstellung von Mann und Frau „die Förderung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern ist Aufgabe des Landes“7  mit der Begründung, dass nicht die Förderung, sondern die tatsächliche Gleichstellung das Ziel sei8 . Sie plädierten für die Variante: „Die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern […] ist Aufgabe des Landes.“9  Diesem Änderungsvorschlag wurde nicht nachgekommen, es fanden die ursprünglichen Worte ihren Weg in Artikel 8.

Auch forderten die Kritiker* und Kritikerinnen* eine paritätische Besetzung der öffentlich-rechtlichen Beschluss- und Beratungsorgane. „Diesem Ziel dienen Quotierung, Förderpläne und andere geeignete gesetzliche Maßnahmen“, da „Gleichstellung […] nur durch Festschreibung als Grundrecht durchzusetzen“10  sei. Diesem Wunsch wurde ebenso wenig nachgekommen wie der Erweiterung des Antidiskriminierungsgrundsatzes um den Passus, dass keine Person wegen ihrer sexuellen Identität benachteiligt werden dürfe.11

Die Verfassung des Freistaates Sachsen von 1992 ging weder auf die Forderung ein, dass „andere Lebensgemeinschaften, die auf Dauer angelegt sind […] der Ehe gleichgestellt“12  werden sollten und Frauen das Recht auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft erhalten bleibe, noch darauf, dass Frauen* und Männer in ihrer Erwerbstätigkeit gleichstellt sind.13

Verfassungsfragen sind Machtfragen

Die Frauen*, die sich für eine paritätische Verfassung einsetzten, bezeichneten angesichts der Art und Weise, wie „alle kritischen Einwände wohlwollend abwehrend, bagatellisierend behandelt wurden“, die Ergebnisse ihres Engagements als „niederschmetternd“14 .

Es verwundert nicht, dass, wenn Menschen sich voll Hoffnung auf einen demokratischen Neubeginn mit großem Gestaltungswillen an der Politik beteiligen, die Frustration groß ist, wenn sich zeigt, dass die eigene Stimme nicht gehört wird, vor allem, wenn sie für einen Großteil der Bevölkerung spricht. Schon in ihrer Analyse zum Gohrischen Entwurf schrieben Michael Arnold und Thomas Mayer 1990: „Wenn Politik mit den Menschen und nicht über die Köpfe der Menschen hinweg gemacht wird, wächst die Stabilität einer Demokratie und die Qualität der Parlaments- und Behördenarbeit.“ Wird ihre Mitarbeit jedoch verweigert, werden dadurch Menschen hervorgebracht, die „ohnmächtig mit dem Gefühl ‚die da oben machen doch was sie wollen‘ bei staatlichen Entscheidungen resignieren“15 . Eine Einstellung, die vor allem der ostdeutschen Bevölkerung in der Vergangenheit häufig vorgeworfen wurde. Möglicherweise hat auch die Erfahrung, dass ihnen eine geschlechtergerechte Verfassung auf Länder- und Bundesebene verwehrt wurde, viele Frauen* von der politischen Arbeit abgeschreckt. In keinem deutschen Parlament ist eine 50-prozentige Teilhabe von Frauen* festzustellen. Während im Bundestag der Frauenanteil 2016 immerhin noch bei 36,6 Prozent lag, ist ein Absinken der Zahlen zu beobachten, je regionaler die Ebene wird: In den Landesparlamenten sind es noch 32,6 Prozent und in den Städte- und Gemeinderäten nur 24 Prozent Frauenanteil.16

Stand: 16. September 2020
Verfasst von
Sarah Thomas

geb. 1987, Master of Arts in Alter Geschichte an der FU Berlin, Mitarbeiterin des Frauenstadtarchives Dresden

Empfohlene Zitierweise
Sarah Thomas (2020): Frauen* in bester (sächsischer) Verfassung?, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/frauen-bester-saechsischer-verfassung
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Fußnoten

  • 1Entwurf einer Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik durch die Arbeitsgruppe "Neue Verfassung der DDR" des Runden Tisches (April 1990), in: documentArchiv.de [Hrsg.], Zugriff am 28.7.2020 unter   
    http://www.documentArchiv.de/ddr/1990/ddr-verfassungsentwurf_runder-tisch.html
  • 2Frauenstadtarchiv Dresden (FSA DD), FSA DD, 13.57_302_00075 „Hering, Heide et al.: Frauen in bester Verfassung. Neubiberg 1990“, Bl. 1r.
  • 3FSA DD, 13.57_302_00077 „Hering: Frauen“, Bl. 2r.
  • 4o. A.: Entwurf eines Frankfurter Frauenmanifests: "Frauen für eine neue Verfassung", in: Feministische Studien. Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, Stuttgart 1991, H. Extra Bd. 9, S. 108‒114.
  • 5Ebenda, S. 52.
  • 6Vgl. o. A.: Verfassung, zuletzt abgerufen am 28.7.2020 unter: https://www.slpb.de/themen/staat-und-recht/politische-ordnung-politisches-system/verfassung/.
  • 7Art. 8. Verfassung des Freistaates Sachsen, Fassung vom 27. Mai 1992.
  • 8FSA DD, 13.57_298_00003 „o.A.: Zum GOHRISCHER ENTWURF der Sächsischen Landesverfassung. Stellungnahme der Bürgerbewegungen (DJ, NF, UVF, Grüne Liga, Runder Tisch der Frauen der Stadt Dresden. Dresden 1990“, Bl. 1r.
  • 9Ebenda.
  • 10Ebenda; FSA DD, 13.57_298_00004 „Stellungnahme“, Bl. 1v.
  • 11FSA DD, 13.57_298_00004.
  • 12Ebenda.
  • 13Vgl. FSA DD, 13.57_298_00003.
  • 14FSA DD, 13.57_302_00293 „Friedel, Brunhild: o.T. Dresden 1990“, Bl. 1r.
  • 15FSA DD, 13.57_302_00087 „Arnold, Michael; Mayer, Thomas: Wege zur Teilnehmerdemokratie. Die neue sächsische Verfassung aus der Sicht von Bürgerbewegungen und Bürgerinitiativen. Bonn/Leipzig o.J. S.1“, Bl. 1r.
  • 16Vgl. Belschner, Jana / Lukoschat, Helga: Parität in der Politik: ein Wegweiser, Berlin 2016, S. 7.