Sichtbarkeit mit Hindernissen

verfasst von
  • Tamara Block
veröffentlicht 20. November 2020

Die Rechteklärung ist ein wichtiger Bestandteil von Archivarbeit. Mit ihrer Hilfe können Urheber*innen- und Nutzungsrechte von Fotografien nachvollzogen werden, wie das Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF) zeigt. Dabei treten neben interessanten Motiven auch die spannenden Lebenswege der Frauen, die diese geschaffen haben, zutage.

Als Berufsfotografin erfolgreich – Alice Matzdorff (1877–1932)

Postbotin auf Fahrrad
Foto: Alice Matzdorff / Quelle: Schulze-Brück, Louise: Kriegsarbeit der Frau in Vertretung des Mannes. II., in: Die Welt der Frau. Beilage zur Gartenlaube, 1915, H. 38, S. 599, Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel, A-D2-00173
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Rechteangabe
  • Foto: Alice Matzdorff / Quelle: Schulze-Brück, Louise: Kriegsarbeit der Frau in Vertretung des Mannes. II., in: Die Welt der Frau. Beilage zur Gartenlaube, 1915, H. 38, S. 599, Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel, A-D2-00173
  • Gemeinfrei
Alice Matzdorff fotografierte während des Ersten Weltkriegs viele Frauen, die in männlich dominierten Berufen tätig waren, wie hier eine Postbotin im Kriegshilfsdienst, 1914/1915. Fotografien, die Matzdorff selbst zeigen, sind bisher nicht bekannt.

So fiel im reichen Fotobestand des AddF Alice Matzdorff als Urheberin zahlreicher Fotografien auf. Während des Ersten Weltkriegs fotografierte sie vor allem Frauen, die bis dahin in männlich dominierten Berufen tätig waren. Dabei war Matzdorff besonders häufig für die bekannte Zeitschrift Die Welt der Frau, Beilage der Gartenlaube, tätig.

Eine erste Internetrecherche zu Alice Matzdorff führte zwar zu vielen ihrer Fotografien in namhaften Bilddatenbanken, aber weder Abbildungen von ihr selbst noch Informationen zu ihrer Biografie oder Lebensdaten.

Allerdings gab es einen ersten Hinweis auf das Ende von Matzdorffs Atelier. So ist das Geschäft von 1905 bis zu seiner erzwungenen Auflösung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1938 in der Datenbank Jüdische Gewerbetriebe in Berlin 1930-19451 nachweisbar.

Da es in Gedenkbüchern für die Opfer des Nationalsozialismus keinen Hinweis auf die Gesuchte gab, lag die Vermutung nahe, dass Alice Matzdorff emigriert sein könnte.

Es ließen sich jedoch keinerlei Einträge in Passagierlisten oder Einwanderungsunterlagen aus möglichen Zielländern finden. Ein Abgleich mit den Berliner Standesamtsregistern brachte schließlich den Durchbruch – aber erst auf den zweiten Blick.

Eine professionelle Fotografin „ohne Beruf“

So wurde die Heiratsurkunde einer Alice Matzdorff, die 1920 in Berlin den Diplomingenieur Ernst Jungmann heiratete, zunächst aussortiert, da sie als „ohne Beruf“2 bezeichnet worden war. Eine Übereinstimmung mit der erfolgreichen Fotografin erschien wenig wahrscheinlich. Nach erneuter Durchsicht war festzustellen, dass die in der Heiratsurkunde angegebene Adresse und die des fotografischen Ateliers übereinstimmten. 

Daraus ergab sich, dass Alice Matzdorff am 22.11.1877 als Tochter von Flora Schreyer und ihrem Ehemann, dem Kaufmann Siegmund Matzdorff, in Breslau geboren wurde. Nach ihrer Eheschließung führte Alice Matzdorff, die nun eigentlich Jungmann hieß, ihr Unternehmen weiter unter ihrem Geburtsnamen. In einer Passagierliste aus dem Jahr 1931, die eine Reise nach New York dokumentiert, bezeichnete sich Alice Matzdorff jedoch als Hausfrau und firmierte unter ihrem Ehenamen. 

Durch die neu gewonnenen Informationen gelang es schließlich, Alice Matzdorffs Sterbeurkunde aufzufinden. Sie verstarb zwei Tage nach ihrem 55. Geburtstag in Berlin, am 24.11.1932. Durch diesen Hinweis lassen sich ihre Werke eindeutig als gemeinfrei ausweisen. Ihr Atelier ging nach ihrem Tod auf ihren Ehemann über, der vermutlich bedingt durch die nationalsozialistische Verfolgung 1938 nach Großbritannien emigrierte und 1962 in New York verstarb.

Weibliche Angestellte bei der Arbeit in der Genossenschaftsbank selbständiger Frauen in Berlin, ca. 1914
Foto: Alice Matzdorff / Quelle: Schidlof, Berthold: Das hohe Lied der Arbeit, in: Kaufhaus N. Israel Berlin (Hg.): Album 1914. Arbeit und Erholung, Berlin 1914, S. 35, Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel, A-D2-00057
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  • Foto: Alice Matzdorff / Quelle: Schidlof, Berthold: Das hohe Lied der Arbeit, in: Kaufhaus N. Israel Berlin (Hg.): Album 1914. Arbeit und Erholung, Berlin 1914, S. 35, Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel, A-D2-00057
  • Gemeinfrei
Weibliche Angestellte bei der Arbeit in der Genossenschaftsbank selbständiger Frauen in Berlin, ca. 1914.

Nicht immer lassen sich Lebenswege klären

Nicht immer lässt sich eine so wechselvolle Geschichte wie die des Ateliers von Alice Matzdorff durch die Rechteklärung aufdecken. Das deutsche Urheber*innenrecht stellt Archive vor große Herausforderungen, um digitalisierte Bestände online für Nutzer*innen zur Verfügung zu stellen. So dürfen Fotografien erst 70 Jahre nach dem Tod der Fotograf*innen uneingeschränkt verwendet und veröffentlicht werden.

Oftmals sind die vorhandenen Informationen auch zu spärlich, als dass der Lebensweg noch nachzuvollziehen ist. In diesem Falle dürfen diese Bildbestände nicht veröffentlicht werden. Eine vertiefte Suche kann aber auch dazu führen, dass noch Urheber*innenrechte seitens der Fotograf*innen bestehen. In diesem Fall ist die Einräumung von Nutzungsrechten seitens der Erb*innen erforderlich. Hierbei stellt der Vertragsgenerator des DDF eine große Hilfe dar, um rechtlich valide und verständliche Nutzungsverträge mit Rechteinhaber*innen und/oder deren Erb*innen auszuarbeiten. 

Sichtbarkeit durch Rechteklärung

Die kostenfrei verfügbare DDF-Rechtebroschüre bietet hierfür einen praktischen und leicht verständlichen Wegweiser durch die Welt des Urheber*innenrechts. Denn in der Praxis bedeutet die Rechteklärung eine zeit- und arbeitsintensive Recherche nach den Lebensdaten einer Person, von der zumeist nur Name und Wirkungsort bekannt sind. 

Was zunächst nach einer trockenen und eher lästigen Tätigkeit klingt, gleicht tatsächlich einer spannenden Detektivarbeit. Zum Handwerkszeug der historischen Rekonstruktion gehört es, unterschiedlichste Biografien aus historischen Adressbüchern, Personenstandsurkunden, Passagierlisten, Melderegistern und vielem anderen mehr mühevoll zusammenzusetzen. Nur durch diese detailreiche Arbeit ist es auch möglich, die Geschichte der Alice Matzdorff zu erzählen, die als Berufsfotografin vielen Frauen ein Gesicht gab, selbst jedoch zu lange unsichtbar blieb.

Der Beitrag ist im Rahmen der DDF-Projektförderung 2020 des AddF entstanden.

Was fällt euch zu Frauen und Erinnerungskultur ein? An welche prägenden Frauen erinnert ihr euch? Welche weibliche Persönlichkeit ist vergessen und sollte eurer Meinung nach wieder aktiv erinnert werden? Noch bis zum 9. Dezember lädt die Münchner Monacensia-Bibliothek im Hildebrandhaus zur Blogparade „Frauen und Erinnerungskultur #femaleheritage“ (Laufzeit: 11. November bis 9. Dezember 2020) ein. 

Stand: 20. November 2020

Fußnoten

  • 1Humboldt-Universität zu Berlin, Datenbank jüdischer Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945: Alice Matzdorff, Zugriff am 20.11.2020 unter https://www2.hu-berlin.de/djgb/www/find
  • 2Landesarchiv Berlin, Heiratsregister Standesamt Charlottenburg I, Nr. 322/1920.

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