Listen to the Archive: Feministisches Erinnern bleibt politisch – Vernetzung & Rolle feministischer Archive

veröffentlicht 26. Juli 2023

Feminismus hat Geschichte! Und die ist politisch, bewegt und reich an Auseinandersetzungen. Sie erzählt von Solidaritäten und Brüchen, sie hat viele Gesichter, Perspektiven und nicht zuletzt Schultern, auf denen auch heute Feminismus gelebt, gedacht und ausgehandelt wird. Von Frauenstreiks bis Cyberfeminismus, von Pionier*innen in Sport oder Sprache: Der DDF-Podcast blickt auf Akteur*innen und Phänomene aus mehr als 200 Jahren feministischer Bewegungsgeschichte.

Was trennt, was verbindet – damals und heute? Wir öffnen feministische Zeitkapseln und Schatzkisten, treffen Historiker*innen, Zeitzeug*innen und weitere Expert*innen – und nehmen Euch mit auf eine Entdeckungstour durch die feministischen Archive. Listen to the Archive!

Folge 6: Feministisches Erinnern bleibt politisch – Vernetzung & Rolle feministischer Archive

„Es ist für mich auch ein Akt von politischem Aktivismus, mich in einem Archiv so sehr zu engagieren“, leitet Rebecca Gefken diese Podcastfolge ein. Als Historikerin und stellvertretende Geschäftsführung ist sie im feministischen Archiv belladonna in Bremen aktiv. Mit ihrer Haltung steht sie in langer, feministisch bewegter Tradition: Die Geschichte feministischer Bewegungen festzuhalten, passiert seit jeher zumeist aus der Bewegung heraus – und ist damit selbst Teil dieser.

Heute auf mehr als 200 Jahre Lesben- und Frauenbewegungsgeschichte blicken zu können, ist daher auch ein zentraler Erfolg der Arbeit vieler feministischer Erinnerungseinrichtungen und ihrer festen, freien und nicht zuletzt oft ehrenamtlich engagierten Akteur*innen. Frauenarchive und -bibliotheken entstanden im Zuge der internationalen Frauenbewegungen seit den späten 1970er-Jahren in vielen, nicht nur westlichen, Ländern. Der Beginn der organisierten feministischen Sammlungsarbeit führt im deutschsprachigen Raum auf die Neue Frauenbewegung zurück, die sich auf die Suche nach der eigenen Geschichte und Identität begab – und auch nach selbstbestimmten Orten, diese zu bewahren.

Repräsentation, Diskussion & Theoriebildung: feministische Archive als Teil der Bewegung

Aufbauend auf privaten Sammlungen von Plakaten, Protokollen und anderen Bewegungsmaterialien begannen sich im deutschsprachigen Raum in den frühen 1970er-Jahren erste feministische Archive und Bibliotheken zu gründen – und ab den 1980er-Jahren auch miteinander und überregional zu vernetzen. Nach den ersten frühen Gründungen folgten weitere Wellen, besonders in den 1980er-Jahren und nach der Maueröffnung um 1990 auch in den ostdeutschen Bundesländern. Ab den frühen 1990er-Jahren entstanden zudem Genderforschungsbibliotheken an den Universitäten.

Reibungslos blieb dies jedoch nicht: Die Geschichte feministischer Erinnerungsarbeit wird nicht nur von äußerem, teils offen antifeministischem Gegenwind, sondern auch von innerfeministischen Reibungen und Kontroversen begleitet. So unterschieden – und unterscheiden sich teils heute noch – die politischen (Selbst-) Verständnisse der feministischen Einrichtungen teils stark voneinander. Während zum Beispiel früher teils große Gräben zwischen autonomer und akademischer Arbeit bestanden, sind viele feministische Erinnerungseinrichtungen bis heute bemüht, hier Brücken zu bauen. Vernetzungsarbeit gehört seit jeher dazu.

Über 40 Jahre feministische Netzwerkarbeit

Neben zahlreichen Gründungsgeburtstagen einzelner Einrichtungen – zum Beispiel feiert der Berliner  Spinnboden in diesem Jahr sein bereits 50-jähriges Bestehen – fallen zwei daher zentrale Jubiläen der feministischen Erinnerungsarbeit in dieses und das kommende Jahr: 2023 feiern wir 40 Jahre Archivetreffen (auch ,Frauenarchivetreffen') und 2024 dann bereits auch 30 Jahre Gründung von i.d.a., dem Dachverband der deutschsprachigen Lesben-/ Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumentationsstellen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg und Italien. 40 Jahre Archivetreffen und 30 Jahre i.d.a.-Dachverband sind keine Selbstverständlichkeit – sondern feministische Errungenschaften.

Am ersten, damals noch eintägigen, ‚Frauenarchivetreffen‘ im Januar 1983 bei Bielefeld nahmen vier Archive teil. Mit jedem Jahr kamen mehr dazu und auch eine internationale Vernetzung entstand. Zentral war hier auch der inhaltliche Austausch in Arbeitsgemeinschaften, die sich wie zum Beispiel die AG Thesaura mit einer feministischen Systematisierung der Sammlungen beschäftigten. Ab 2003 wurden die Treffen jährlich als thematisch fokussierte Fachtagungen organisiert. Auch folgten erste gemeinsame Projekte, die Ausdruck des Wunsches nach einer gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung waren bzw. diesen beförderten. So wurde unter anderem bereits 1987 ein gemeinsamer Tag der Frauenarchive beschlossen, der bis heute jährlich am 11. Mai stattfindet.

Für mehr Verbindlichkeit, Repräsentation und Perspektive sollte eine gemeinsame Struktur sorgen: Am 24. April 1994, beim 22. Archivetreffen in Bremen, wurde die Entscheidung getroffen, den i.d.a.-Dachverband zu gründen, dem heute circa 40 feministische Einrichtungen angehören. Sicherlich keine einfache Debatte, da die Archive mit ihren regionalen und thematischen Schwerpunkten und ihrer autonomen Geschichte sichtbar bleiben wollten.

Mittlerweile sind die i.d.a.-Einrichtungen, ihre Angebote und Materialien gerade auch technisch viel stärker miteinander verwoben. Über den META-Katalog, der auch die Datenbasis für das DDF-Fachportal liefert, sind die Bestände der feministischen Bibliotheken und Archive über eine gemeinsame Datenbank durchsuch- und recherchierbar – ein europaweites Highlight für feministische Forschung, Wissenschaft sowie Medien- und Bildungsarbeit.

Untrennbar von Demokratiegeschichte

Einzeln und im Verbund haben es sich alle Einrichtungen und die ihnen verbundenen Akteur*innen – darunter auch viele freie Historiker*innen – zur Aufgabe gemacht, zur feministischen Bewegungsgeschichte zu informieren, diese zu dokumentieren und archivieren. In ihrem diesjährigen, vom DDF geförderten Digitalisierungsprojekt Gemeinsam dem Vergessen entgegen – 40 Jahre Vernetzung der deutschsprachigen Lesben-/Frauenarchive, -bibliotheken und Dokumentationsstellen bereitet belladonna Bremen die eigenen Verbands- und Netzwerkgeschichte auf. 

„Frauen sollten nicht nur sichtbar gemacht werden in der männlichen Geschichtsschreibung, sondern Geschichtsschreibung sollte anders stattfinden“, sagt Barbara Schnalzger im Podcast, die in Leipzig die feministische Bibliothek MONAliesA mitgestaltet, eine der bedeutendsten feministischen Fachbibliotheken in ganz Mitteldeutschland und darüber hinaus.

Feministische Archive bringen damit auch die Geschichtsschreibung in Bewegung, sie weiten bestehende historische Narrative, ermöglichen feministische (Gegen-) Erzählungen – und nicht zuletzt auch die oft noch ausstehende und nötige Forschung. Feministische Geschichte ist damit ein zentraler Teil der Demokratiegeschichte.  

In dieser Podcastfolge fragen wir daher: Wie wurden diese feministischen Netzwerke geknüpft. Was können wir – auch mit dem Blick auf erstarkende antifeministische und damit antidemokratische Strukturen – von und mit diesen feministischen Erinnerungseinrichtungen und Wissensspeichern lernen? Und was verdanken wir ihnen?

Mit: Maren Bock (Politologin, Geschäftsführung und Mitgründerin von belladonna, Bremen), Rebecca Gefken (Historikerin, stellv. Geschäftsführung belladonna) und Eugenia Kriwoscheja (Kunst- und Kulturvermittlerin, Mitarbeit belladonna) und Barbara Schnalzger (Kulturhistorikerin, Geschäftsführung MONAliesA, Leipzig)

Mehr feministische Geschichte erzählen

Durch den Podcast begleitet Birgit Kiupel. Sie ist Bewegungs- und Radiofrau, Zeichnerin und promovierte Historikerin, DDF-Geschichtsexpertin in Hamburg und ausgemachte Kennerin der Archive. Sie führt durch Gespräche und Geschichten – mit dem richtigen Gespür für besondere Fundstücke aus den feministischen Archiven.

Neue Folgen von „Listen to the Archive. Der DDF-Podcast zu feministischer Geschichte“ erscheinen alle drei Monate. Zu hören überall dort, wo es Podcasts gibt.

Listen to the Archive. Der DDF-Podcast zu feministischer Geschichte ist eine Produktion des Digitalen Deutschen Frauenarchivs.

Konzept: Birgit Kiupel, Steff Urgast
Schnitt/Mischung: Christian Alpen
Sound Design: Azadeh Zandieh

Digital. Divers. Feministisch.
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#ddfarchiv

Weiterführende Texte zum Thema im DDF:

Stand: 26. Juli 2023

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