Keine Vergütungspflicht für Archive und Bibliotheken!

verfasst von
  • Dr. Katrin Lehnert
veröffentlicht 02. Dezember 2020

Ein Zusammenschluss von i.d.a.-Einrichtungen, weiteren freien Archiven und dem Digitalen Deutschen Frauenarchiv hat erneut zur aktuellen Urheberrechtsreform Stellung genommen. Bereits im Sommer waren die Bewegungsarchive dem Aufruf des Bundesjustizministeriums gefolgt, seinen Gesetzentwurf zum Urheberrecht zu kommentieren. Bis Anfang November konnten nun Eingaben zum Referentenentwurf des Ministeriums abgegeben werden.

Unverändert kritikwürdig

Paragrafen in Regenbogen
Digitales Deutsches Frauenarchiv
Lizenz
Rechteangabe

Wieder beteiligten sich große Player wie Google und Facebook, aber auch Berufsverbände, Interessensvertretungen und Verwertungsgesellschaften sowie große deutsche Kulturinstitutionen. Sämtliche Stellungnahmen sind auf der Webseite des Bundesjustizministeriums zu finden, darunter die Eingabe der Bewegungsarchive sowie der Einzelkommentar des Freiburger Archivs Soziale Bewegungen.

Die im Sommer von den Bewegungsarchiven ebenso wie vom Bundesarchiv und dem Verband deutscher Archivarinnen und Archivare kritisierten Punkte wurden unverändert in den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums übernommen, Änderungsvorschläge wurden ignoriert. Die Bewegungsarchive bekräftigen daher ihre Ablehnung der geplanten Vergütungspflicht für die Onlinestellung bestimmter Materialien.

Außerdem weisen sie darauf hin, dass Erleichterungen für Archive und Bibliotheken nicht nur diesen selbst, sondern auch ihren Zusammenschlüssen zugutekommen müssen, um Portale wie das Digitale Deutsche Frauenarchiv oder die Deutsche Digitale Bibliothek zu ermöglichen.

Worum geht es im Einzelnen?

Aktuell wird eine EU-Richtlinie zum Urheberrecht (DSM-RL (EU) 2019/790) in deutsches Recht umgewandelt. Zu diesem Zweck hat der deutsche Gesetzgeber einen Gesetzentwurf zur Diskussion gestellt. Das deutsche Gesetz soll Mitte 2021 in Kraft treten.

Die Umsetzung der EU-Richtlinie bietet die Möglichkeit, Kulturerbeinstitutionen die Zugänglichmachung ihrer Bestände zu erleichtern. Begrüßenswert ist laut der Bewegungsarchive insbesondere, dass die aktuelle Regelung zu ,vergriffenen Werken‘, die de facto ausschließlich für Verlagspublikationen gilt, zukünftig ausgeweitet werden soll auf ,nicht verfügbare Werke‘. Hierunter fallen auch und gerade die Materialien sozialer Bewegungen wie Flugblätter, Plakate oder Broschüren.

Abweichungen von der EU-Richtlinie

Der deutsche Gesetzentwurf verstößt bezüglich der Vergütungspflicht jedoch gegen die EU-Richtlinie. Es soll auch dann eine Vergütung an eine Verwertungsgesellschaft (VG) gezahlt werden, wenn keine repräsentative VG für die infrage stehenden Materialien existiert, d.h. wenn die Mehrheit der fraglichen Urheber*innen von keiner VG vertreten wird.

Folglich müsste etwa ein Archiv für die Onlinestellung von Flyern eine pauschale Vergütung an eine VG zahlen, obwohl die Gelder in den seltensten Fällen den Urheber*innen der Flyer zugute kämen: Die Urheber*innen politischer Materialien wie Flyer, Plakate etc. sind meist bewusst anonym, sträuben sich gegen eine kommerzielle Verwertung ihrer Materialien und werden so gut wie nie von einer Verwertungsgesellschaft vertreten.

Keine neue Vergütungspflicht!

Auch das DDF und die Bewegungsarchive sind für eine Entlohnung von Urheber*innen. Wir wenden uns jedoch gegen eine Vergütung, die nicht den Urheber*innen der Materialien, sondern einzig einer Verwertungsgesellschaft zugute kommt. Wir fordern eine klare, rechtssichere Regelung, die die Bedürfnisse der Archive berücksichtigt, statt ihre finanzielle Situation weiter zu verschlechtern. Ein Anspruch von Verwertungsgesellschaften müsste mindestens auf solche Werke beschränkt werden, die kommerziell verwertet wurden. Denn die Finanzierung von Verwertungsgesellschaften ist kein Selbstzweck!

Diese Haltung spiegelt sich auch in der Einzelstellungnahme des Archivs Soziale Bewegungen Freiburg wider, das den Gesetzentwurf aus der Sicht seines Archivalltags kommentiert. Und auch der Verband deutscher Archivarinnen und Archivare sowie das Bundesarchiv argumentieren ähnlich: Ihre Stellungnahmen machen deutlich, dass die geschilderte Problematik neben den Materialien sozialer Bewegungen auch den überwiegenden Teil des Archivguts staatlicher und kommunaler Archive betrifft.

Portale ermöglichen!

Von Erleichterungen für die öffentliche Zugänglichmachung nicht verfügbarer Werke profitieren laut des aktuellen Gesetzentwurfs „Kulturerbe-Einrichtungen“, die dann jeweils die nicht verfügbaren Werke „aus ihrem Bestand“ online veröffentlichen dürfen (§ 61d Abs. 1 RefE). Dieses gesetzliche Idealbild geht von einer einzelnen Einrichtung aus. Das kann beispielsweise ein Archiv sein, das solche Werke, wie etwa Flugblätter, in seinem Bestand hat, digitalisiert und online stellt.

Oft stellen aber nicht einzelne kleine Einrichtungen isoliert ihre jeweiligen Bestände online, sondern schließen sich zu Verbünden oder Portalen zusammen, wie das Digitale Deutsche Frauenarchiv des feministischen i.d.a.-Dachverbands. Die Bewegungsarchive fordern daher, die Erleichterungen für Kulturerbeeinrichtungen auch auf ihre jeweiligen Zusammenschlüsse auszudehnen. Dann wird auch eine Zusammenarbeit mit nationalen und europäischen Portalen wie der Deutschen Digitalen Bibliothek und Europeana erleichtert.

Dies war die letzte Runde, in der Interessierte Stellung zum aktuellen Gesetzentwurf nehmen konnten. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber die Anliegen von Kulturerbeeinrichtungen berücksichtigt, bevor Mitte 2021 das neue deutsche Urheberrechtsgesetz in Kraft tritt.

Stand: 02. Dezember 2020
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