Gender Studies: bedrohtes Wissen

verfasst von
  • Digitales Deutsches Frauenarchiv / Steff Urgast
veröffentlicht 14. Januar 2019

Ein Vortrag von Ester Kováts am 16.1. in Berlin beleuchtet die Hintergründe. Das DDF ist ein Angebot für die Frauen- und Geschlechterforschung und bietet Einblicke in die Geschichte des Fachs – und des Antifeminismus.

Gender Studies untersuchen die Bedeutung von Geschlecht in Geschichte, Kultur, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik. Sie betrachten die Analysekategorie Gender als soziales, wandelbares Konstrukt und sind interdisziplinär wie international angelegt. Diese Forschungsperspektive sorgt nicht selten für Abwehr. Was passiert, wenn national-autoritäre und religiös-fundamentalistische Kräfte in Regierungsverantwortung gelangen und über die Zulassung von Studienprogrammen direkt verfügen können, ist aktuell in Ungarn spürbar.

Gender Studies als Feindbild

Ein von Ministerpräsident Viktor Orban im Oktober 2018 unterzeichneter Regierungserlass streicht das Studienfach als zugelassenen Master-Kurs.

Betroffen sind zwei Budapester Universitäten: die staatliche Loránd-Eötvös-Universität (ELTE), die vor zwei Jahren die Akkreditierung für den ersten Studiengang Gender Studies in ungarischer Sprache erhielt, und die private amerikanische Central European University (CEU), an der das Fach bereits seit zwölf Jahren akkreditiert ist.1

Dieser direkte Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre könnte in seiner Zäsur die europäische Hochschullandschaft alarmieren. Wie in Ungarn gelten auch anderen Rechtsaußen-Parteien in Europa die Gender Studies nicht als Wissenschaft, sondern ,Ideologie‘, die eine ,natürliche‘ Geschlechterordnung als gesellschaftliche Basis infragestellt.

Tradierter Antifeminismus

Originaldokumente im DDF veranschaulichen die historische Analogie aktueller antifeministischer Argumentationen zur Ersten und Zweiten Frauenbewegung. Zahlreiche Materialien – darunter Essays und Zeitungsartikel – belegen, wie als unveränderbar angenommene Naturgesetze benutzt wurden, um Frauen ihre Fähigkeit zum Studieren abzusprechen. Die Verbindung von Patriachat und Antifeminismus verwehrte Mädchen und Frauen in Europa weit bis in das 20. Jahrhundert hinein einen selbstbestimmten Zugang zu Bildung, Wissenschaft, Forschung und Lehre.

Erst 1908/09 und unter großen Widerständen der etablierten männlichen Wissenschaften wurden auch Frauen im gesamten deutschsprachigen Raum regulär zum Studium zugelassen – eine Errungenschaft zahlreicher Frauenrechtlerinnen, wie u.a. Louise Otto-Peters oder Helene Lange, aber auch der Vereinigungen der Frauenbewegung, wie u.a. dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein.2

Wissensproduktion und -bewahrung

Über die US-amerikanischen Women’s Studies, die in den 1960er und 70er Jahren im Zusammenhang mit der Frauenbewegung entstanden, wurden auch im deutschsprachigen Raum Frauen- und Geschlechterstudien erkämpft. Die Gender Studies entstanden schließlich in der historischen Folge der Zweiten Frauenbewegung, die die Annahme einer Geschlechterdifferenz hinterfragte. 1997/98 wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin der bundesweit erste Studiengang Gender Studies eingerichtet und Gender als kritische Analysekategorie zu einem zentralen Begriff in der Wissenschaftsforschung.

Das DDF dokumentiert neben dem langwierigen Ringen um Anerkennung und Teilhabe von Frauen ebenso den alltäglich erlebten Sexismus in Forschung und Lehre.3 Das Wissen darüber ist auch ein wichtiger Verdienst der Gender Studies, die auf Biografien von Frauen, ihre Initiativen und politischen Leistungen hingewiesen und diese damit erst dokumentierbar gemacht haben.

 

Weiterführende Literatur:

Bock, Ulla 2015: Pionierarbeit: Die ersten Professorinnen für Frauen- und Geschlechterforschung an deutschsprachigen Hochschulen 1984-2014

Ausstellungsgruppe an der Humboldt-Universität zu Berlin und Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung (Hg.) 2003: Von der Ausnahme zur Alltäglichkeit. Frauen an der Berliner Universität Unter den Linden

Stand: 14. Januar 2019

Fußnoten

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