Die Frauengymnastikschule Schwarzerden legt den Grundstein für den Frauenberuf der Sozialgymnastikerin

verfasst von
  • Barbara Günther
veröffentlicht 25. September 2023

1923 pachten im Weiler Schwarzerden in der Rhön drei Frauen – Elisabeth Vogler (1892—1975), Marie Buchhold (1890—1983) und Martha Neumayer (1900—1976) – einen Hof und beginnen mit dem Aufbau einer Frauensiedlung. ‚Standbeine‘ der Siedlung sind zum einen die Garten- und Landwirtschaft. Diese bleibt für mehrere Jahrzehnte ein wichtiger Lebensmittellieferant für die Gemeinschaft. Zum anderen eine handwerkliche Produktionsstätte für Bast- und Korbflechtarbeiten, die eine kleine, aber sehr dauerhafte Einnahmequelle ist. Das Herzstück bildet schließlich die Gründung der Gymnastikschule Schwarzerden.

Von Ferienangeboten für Berufstätige zum eigenen Frauenberuf 

Die ab 1923 als Ferienangebote für Berufstätige, zum Beispiel Lehrerinnen oder kaufmännische Angestellte angebotenen Gymnastikkurse, legen den Grundstein für die Schule und – sehr viel wichtiger – für einen eigenen Frauenberuf. Die Schwarzerdenerinnen wollen nicht nur eine Schule aufbauen, sie wollen vielmehr Frauen einen eigenen Beruf bieten und ihnen damit eine eigene Lebensperspektive schaffen. Ab 1927 kann schließlich der gänzlich neue Frauenberuf der Sozialgymnastikerin erlernt werden. Besonders wichtig war dabei ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem mit Hilfe des Körpers die Frau insgesamt befreit, geheilt und gesund erhalten wird. Dafür werden verschiedene Ansätze der rhythmischen Gymnastik aus der Lebensreformbewegung mit Übungen aus der funktionellen Gymnastik von Bess Mensendieck (1863—1957) kombiniert.

Damit ist die Schule Schwarzerden eines der ganz wenigen Beispiele für eine in den Alltag umgesetzte Körper- und Lebenspraxis, die erst durch die Veränderungen, die die Frauenbewegung möglich gemacht hat, entstehen kann und die sich explizit auf das weibliche Geschlecht bezieht.

Ball-Objekte aus dem Bestand der Gymnastikschule Schwarzerden
Sonja Rohde/AddF Kassel
Rechteangabe
Ball-Objekte aus dem Bestand der Gymnastikschule Schwarzerden

Bestand der Gymnastikschule Schwarzerden

Der vom Archiv der Deutschen Frauenbewegung (AddF) vom Verein Schwarzerden/Rhön 2013 übernommene und durch Nachlieferungen ergänzte Bestand der Gymnastikschule Schwarzerden umfasst insgesamt rund 30 Regalmeter und hat eine Laufzeit von circa 1910—2010. Im Aktenbestand (circa 24 Regalmeter) finden sich unter anderem neben Nachlassunterlagen von Marie Buchhold, auch die Schulakten und ‚Schultagebücher‘, in die seit den 1920er-Jahren die Ereignisse rund um die Schule und ihre Verwaltung eingetragen wurden. Darüber hinaus sind rund sechs Regalmeter visuelle Materialien im Bestand. Hierbei handelt es sich zum Großteil um circa 5.500 unsortierte Fotos, des Weiteren um Fotoalben, Negative sowie Glas- und Druckplatten. 

Das AddF besteht seit 1983 in Kassel. Es betreibt ein Forschungsinstitut und Dokumentationszentrum zu Frauenbewegungen und Frauengeschichte des 19. und 20 Jahrhunderts. Neben einer Spezialbibliothek unterhält es ein umfangreiches Archiv, in dem Bestände von Frauenvereinen und  -organisationen sowie Nachlässe gesammelt werden. 

Neben der Erschließung des Aktenbestandes werden die visuellen Materialien erstmals gesichtet, sortiert, bewertet und archivgerecht verpackt. Darüber hinaus erscheinen im DDF drei Essays: einmal über die Gymnastikschule Schwarzerden selbst sowie über die Gründerinnen Marie Buchhold und Elisabeth Vogler.

Außerdem werden weitere wichtige Quellen der Frauenbewegung digitalisiert und zwar im Schwerpunkt die Originale der vom Bund für Mutterschutz herausgegebenen Zeitschrift Mutterschutz. Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik, später Die Neue Generation (1905—1932). Zudem entstehen weitere drei Essays zur Berliner Frauenbank (1910—1916), zu den Sexualberatungsstellen in der Weimarer Republik und zu Marie-Elisabeth Lüders (1878—1966) – für noch mehr Frauenbewegungsgeschichte im DDF.

Ausgewählte Beiträge vom AddF im DDF:

Stand: 25. September 2023
Lizenz (Text)

Verwandte Themen