„Wir Lesben sind überall“ 

verfasst von
  • Veza Clute-Simon
veröffentlicht 23. Februar 2018

Flugblätter, Stellungnahmen, Sitzungsprotokolle, Zeitungsschnipsel, Demoaufrufe, Veranstaltungsankündigungen: Eine Fülle von Dokumenten des Lesbischen Aktionszentrums Westberlin (LAZ) lagert im Spinnboden Lesbenarchiv & Bibliothek. Ein Teil dieser Sammlung wird nun für das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF) digitalisiert. So wird ein wichtiges Stück Lesben- und Frauengeschichte langfristig gesichert. Doch was war das LAZ und wie ist es entstanden? Wie haben sich die Frauen organisiert, was hat sie motiviert? Eine Archivkiste gibt Auskunft.

Nicht der Homosexuelle ist pervers...

Als Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ bei der Berlinale 1971 uraufgeführt wurde, traf der Film einen Nerv. Vom offenen Umgang mit Homosexualität, der die 1920er Jahre geprägt hatte, war nach der Herrschaft der Nationalsozialisten nichts übriggeblieben und über Jahre hatte sich der Handlungsspielraum homosexuell liebender Menschen auf das Erkämpfen individueller Freiräume beschränkt. Diese Situation hielt nicht nur Praunheim für untragbar. So rührte der Film an ein Gefühl, das erst zu hitzigen Diskussionen und schon bald darauf zur Gründung einer Reihe schwuler Gruppierungen in Westdeutschland führte – darunter die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW). Doch nicht nur schwule Männer fühlten sich von der im Film beklagten Lage angesprochen, auch Lesben identifizierten sich damit und bildeten kurze Zeit später eine HAW-Frauengruppe.

Aus der Nische in die Mitte

Die Frauen und Männer, die sich in der HAW organisierten, einte das Gefühl: jetzt reicht’s. Während die existierende Subkultur darauf setzte, Nischen zu schaffen, innerhalb derer sich Homosexuelle mehr oder weniger frei begegnen konnten, ging es den neuen Politgruppen ums Ganze. Was sie forderten war Anerkennung. Um diese zu erlangen, hieß es: raus aus der Isolation, rein in die Gesellschaft. Die Gründung der Gruppen, die auch als Kommunikationszentren dienten, war ein erster Schritt.

Schwule – Frauen – Lesben?

Zu Beginn erschien es Lesben naheliegend, sich der HAW anzuschließen. Sie fühlten sich Schwulen durch die gemeinsame Erfahrung der Unterdrückung ihrer Sexualität verbunden und sahen in Filmen wie „Nicht der Homosexuelle ist pervers...“ und der darauffolgenden Debatte auch eine Möglichkeit, ihre eigenen Erfahrungen sichtbar zu machen. Auch deshalb nannten sie sich zu Beginn „schwul“, „schwule Frauen“ oder schlichtweg „homosexuell“. Doch schon bald wuchs bei den HAW-Frauen die Erkenntnis, dass sie nicht nur anderen Diskriminierungsformen ausgesetzt waren als schwule Männer, sondern darüber hinaus immer nur als Anhängsel der HAW-Männer wahrgenommen wurden – eine Erfahrung, die ihre Unsichtbarkeit fortzusetzten drohte. Das Namensproblem und der Wandel im Selbstverständnis führten zu einer stärkeren Identifikation mit der Autonomen Frauenbewegung und schließlich 1975 zur Umbenennung in „Lesbisches Aktionszentrum Westberlin (LAZ)“. In einer Stellungnahme zur Begründung dieser Wahl heißt es „a) weil das wort „lesbisch“ genau sagt, wie wir sind und international verwendet wird. b) weil das wort „aktionszentrum“ sagt, daß in unserem zentrum [...] aktionen starten.“

Bewegung und Organisation

Die Frauen, die sich im LAZ zusammenschlossen, waren überwiegend sehr jung und hatten wenig Erfahrung mit politischem Aktivismus. Der Aufbau funktionierender Strukturen erforderte einiges an Arbeit und verlief nicht ohne Frustration. Ein Infoblatt von 1975 macht die Organisationsstruktur der Lesbengruppe sichtbar: 80 zahlende Mitglieder, ein Plenum pro Woche, einmal im Monat ein offener Abend, Gruppen für Karate, Selbsterfahrung, Beratung, Märchen und Kontakt zu anderen westdeutschen Frauengruppen. Außerdem gibt es eine Redaktionsgruppe, die seit 1974 die Zeitschrift „Lesbenpresse“ herausgibt. „Selbst-Darstellung“ und sachliche Aufklärung durch Betroffene und Aktivistinnen war bitter nötig, wie der Prozess von Itzehoe 1974 zeigt.

Gegenöffentlichkeit

„Am Fall Ihns/Andersen kann man ziemlich alles aufzeigen, was zur Lage von Frauen zu sagen ist“, verkündete ein Plakat. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Mobilisierung des LAZ und anderer bundesdeutscher Gruppen 1974 im Protest gegen den Prozess von Itzehoe. Zwei lesbische Frauen, Marion Ihns und Judy Andersen, standen wegen Mordes an Marions Ehemann vor Gericht. Begleitet wurde der Prozess von einer diffamierenden Berichterstattung der Springer-Presse, die schon ein Jahr zuvor unter dem Titel „Die Verbrechen der lesbischen Frauen“ über Wochen lesbische Liebe in einen kausalen Zusammenhang mit Unheil, Kriminalität und Wahnsinn gebracht hatte. Die LAZ-Frauen ließen sich das nicht gefallen, drehten den Spieß um und trugen die Botschaft „Gegen Geile Presse – für lesbische Liebe“ auf T-Shirts bis in den Gerichtssaal.

Die 1980er, 1990er und die Lesbenwoche

Die Struktur, Themen und Aktionsformen der durch das LAZ mitbegründeten Lesbenbewegung veränderten sich im Laufe der Jahre. 1985 fand die erste Lesbenwoche in Berlin statt. Von da an trafen sich jedes Jahr mehrere hundert Lesben, um sich gemeinsam über ihre Erfahrungen auszutauschen, zu lernen und zu feiern. In den Schwerpunkten und Debatten lässt sich erneut eine Verschiebung im Selbstverständnis der Lesbischen Bewegung ablesen. Während es anfangs vor allem um die Abgrenzung zu homosexuellen Männern und heterosexuellen Frauen ging, wurden nun weitere Diskriminierungsformen in den Blick genommen und die Diversität innerhalb der Gruppe lesbischer Frauen thematisiert. In den 1990er Jahren wurde das Thema Rassismus zwei Jahre in Folge in den Fokus der Lesbenwoche gerückt. Die Organisation war immer wieder von Auseinandersetzung geprägt, es gab Kritik an rassistischem Verhalten, an Veranstaltungen, die trotz entsprechender Ankündigung nicht barrierefrei waren, und Streit darüber, ob Trans*frauen zu Veranstaltungen zugelassen werden sollten. Es erwies sich als harte Arbeit, Machtverhältnisse auch innerhalb der eigenen Gemeinschaft aktiv anzugehen.

Archiv der Bewegung 

Dass Dokumente des Aktionszentrums heute im Spinnboden liegen, ist kein Zufall. Schon 1973 begann die Gruppe, Plenumsprotokolle, Flugblätter und andere Zeugnisse zu sammeln. Im selben Jahr gründeten ehemalige LAZ-Frauen das Archiv zur Entdeckung und Bewahrung von Frauenliebe e.V., aus dem 1983 der Spinnboden e.V. hervorgeht. Früh ahnten die Frauen, dass ihre Arbeit für spätere Generationen von Bedeutung sein würde. Wie Recht sie damit hatten, beweist das anhaltende Interesse an ihrem Aktivismus. Auch der Spinnboden ist im Laufe der Jahre stetig gewachsen: über 10.000 Bücher, 1.500 Videos und ein lebendiges Veranstaltungsprogramm locken bis heute junge und alte Lesben*Frauen in die Räume, die es ohne die mutige Politik der Lesben in den 1970er Jahren nicht geben würde. 

Stand: 23. Februar 2018

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